Der Einzelhandel im Südwesten - Zwei Seiten der Medaille - HildRadwelt
Die regionalen Händler, allen voran in den Innenstädten, leiden nach wie vor unter der Coronapandemie und hoffen auf eine steigende Impfquote. Dies war der Tenor der Herbstpressekonferenz des Handelsverbands Südbaden. Die Lage in den Branchen ist indes unterschiedlich.


Wie zwei Seiten einer Medaille klingen die Berichte über das Jahr 2020 von Thomas Merkel, dem Geschäftsführer der Hild Radwelt GmbH & Co. KG in Freiburg, und Ingo Fuchs, dem Geschäftsführer der Modehaus Fuchs GmbH in Endingen. „Wir gehören ganz klar zu den Gewinnern der Pandemie“, so Merkel auf der Pressekonferenz des Handelsverbands Südbaden, die Mitte September in seinem Unternehmen stattfand. Wie die Branche insgesamt verzeichnete auch sein Fahrradgeschäft (1.800 Quadratmeter Verkaufsfläche, 70 Mitarbeiter) im Jahr 2020 ein Umsatzplus von 30 Prozent. Angesichts der Pandemie wollten viele Beschäftigte nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren und stiegen daher aufs Rad um, berichtet Merkel. Dieses Jahr fällt das Wachstum sowohl der Branche als auch seines Unternehmens angesichts des hohen Vorjahresniveaus geringer aus. Zudem machen den Fahrradhändlern Lieferengpässe der Hersteller zu schaffen, denen wiederum Teile von ihren Zulieferern wie zum Beispiel Vorderradgabeln fehlen. Vor 2022 oder 2023 rechnet Merkel nicht mit einer Normalisierung des Geschäfts. Die im ersten Obergeschoss seines Firmengebäudes angesiedelte Nähwelt (400 Quadratmeter, 25 Mitarbeiter) verbuchte zu Beginn der Pandemie, als viele Menschen Masken nähten, ebenfalls „deutliche Zuwächse“.

Ganz anders war die Lage beim Modehaus Fuchs in Endingen. Das alteingesessene Geschäft bietet Kleidung und Accessoires für Damen, Herren und Kinder sowie junge Mode auf einer Verkaufsfläche von 950 Quadratmetern und beschäftigt 26 Mitarbeiter. In den zehn Jahren vor der Pandemie habe sein Modehaus zu den Gewinnern gezählt, berichtet Ingo Fuchs, der das Unternehmen in fünfter Generation führt. Als dessen Stärken, damals wie heute, nennt er das große Sortiment, die Beratungstiefe sowie das zahlreiche und hochqualifizierte Personal. All das sei während der Lockdowns nicht möglich und nach dem ersten nicht mehr gefragt gewesen. Im Sommer 2020 hätten sich viele Kunden nicht zurück in die wiedereröffneten Läden getraut. Inzwischen sei das zum Glück anders. Fuchs berichtet von Umsatzeinbrüchen bis zu 50 oder 60 Prozent in den schlimmsten Monaten. Man habe gekämpft und Dank der Reserven der Familie, einem zusammen mit dem Gewerbeverein ins Leben gerufenen Lieferservice, Kurzarbeitergeld und weiterer staatlicher Hilfen die Pandemie „relativ gut überstanden“. Er betont: „Die Modehäuser und alles, was unsere schönen Innenstädte ausmacht, gäbe es ohne die Überbrückungshilfen nicht mehr. Ich bin froh, dass uns das in Deutschland passiert ist.“ Fuchs hat in der Pandemie vermehrt in digitale Werbung investiert, wegen der hohen Retourenquote in seiner Branche kommt ein Onlineshop für ihn aber nicht infrage.


Auch Philipp Frese, Geschäftsführer der Frese GmbH – Textiles Einrichten und der PSSST Bettenhaus Freiburg GmbH & Co. KG, verzichtet auf einen Webshop. In seinen Geschäften dauere zum Beispiel eine Beratung für das richtige Kissen bei Nackenschmerzen bis zu 30 Minuten, so etwas sei online nicht möglich. Aber auch Frese hat in der Coronazeit mehr Geld in digitale Werbung gesteckt und berichtet: „Nach dem ersten Schock haben wir den Betrieb so weit als möglich aufrechterhalten, um die Sichtbarkeit zu gewährleisten und in der Pandemie nicht vergessen zu werden.“ Seine beiden Unternehmen sind an einem Standort untergebracht, haben rund 700 Quadratmeter Verkaufsfläche und 20 Mitarbeiter.
In seiner Funktion als Präsident des Handelsverbands Südbaden berichtet Frese zudem von einer „sehr verhaltenen Stimmung“ im gesamten südbadischen Einzelhandel. „Wenn die Geschäfte das halbe Jahr geschlossen waren, kann es kein gutes Jahr werden, sondern nur um Schadensbegrenzung gehen“, sagt er. Die ohnehin schwierige Lage werde dadurch erschwert, dass die pandemische Situation Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen habe. Für den Einzelhandel sei es schwierig, Personal zu bekommen. Die meisten Einzelhändler mussten ab 16. Dezember 2020 komplett schließen. Ab 8. März dieses Jahres gab es Lockerungen, im Juni schließlich durften sie mit Hygieneauflagen wieder komplett öffnen.
So berichten denn auch 72 Prozent der Betriebe in Baden-Württemberg von gesunkenen Umsätzen im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum bereits teilweise pandemiegeprägten Vorjahreszeitraum und nur 15 Prozent von gestiegenen. Zu letzteren zählt der Lebensmitteleinzelhandel, der öffnen durfte. 59 Prozent dieser Händler melden gestiegene Umsätze. Sie schätzten im Juni/Juli ihre Geschäftslage auch am besten ein – gut die Hälfte der befragten Lebensmittel­einzelhändler befand sie für gut –, insgesamt taten es ihnen nur 17 Prozent der Händler im Land gleich. Die zunehmende Deltavariante habe dem Handel wieder einen Dämpfer versetzt, berichtet Utz Geiselhart, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Südbaden. Noch Anfang Mai sei die Stimmung besser gewesen.

Bundesweit boomt weiter der Onlinehandel, wenn auch weniger stark als im Vorjahr, als er Rekordwerte erreichte. Insgesamt steht der Handel in Baden-Württemberg in diesem Jahr schlechter als in ganz Deutschland da. Als Gründe dafür nennt Geiselhart die Lage an der französischen und schweizerischen Grenze sowie die hohe Zahl der von der Pandemie besonders betroffenen Innenstadt- und Fachhändler. So berichteten – wie schon im Vorjahr – über alle Branchen hinweg Händler mit normalerweise vielen Kunden aus Frankreich oder der Schweiz von großen Einbrüchen. Zwar waren die Grenzen nicht mehr wie im Frühjahr 2020 geschlossen, die Einreise blieb beziehungsweise ist zum Teil jedoch erschwert, was der Verband daher kritisiert. Zudem wiederholt Geiselhart die Forderungen der Mitgliedsunternehmen nach einem digitalen System für die Mehrwertsteuerrückerstattung für die Schweizer Kunden an der Grenze.

Und nun? Laut Hauptgeschäftsführer Peter Spindler geht es jetzt darum, einen weiteren Lockdown zu verhindern. „Wir wissen, Impfen ist das Einzige, was uns hilft, aus der Pandemie herauszukommen“, sagt er mit Verweis auf die entsprechende Kampagne des Handelsverbands. Er betont, dass es auch viele Betriebe gebe, die bei den staatlichen Hilfen durchs Raster gefallen seien. Von Betriebsschließungen in nennenswerter Zahl wegen Corona weiß er indes nicht. Frese verweist auf die auch schon vor Corona schwierige Situation vieler Händler. Er geht davon aus, dass viele ihre Betriebe nun altersbedingt früher als geplant schließen. „Das wird man in den nächsten zwei Jahren sehen“, sagte er.



Quelle: https://www.wirtschaft-im-suedwesten.de/themen-trends/zwei-seiten-der-medaille/?fbclid=IwAR1aZOdNNncDlVmtdSM0y152DBmdOG62S_-RXv-xwkYozb6saiiw5rdXGr4